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- Wieso wir mehr kritisches Denken brauchen und wie du die hierfür notwendigen Fähigkeiten in Unternehmen entwickeln kannst
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Die entsprechenden Leadership-Grundlagen und deren Umsetzung wurde uns auf eine Art vermittelt, die von einem stark vereinfachten Verständnis von Leadership ausging, einem „one fits all“ Verständnis. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu einer beträchtlichen Menge empirischer Daten, theoretischen Modellen und evidenzbasiertem Wissen, das aus langjähriger sozialwissenschaftlicher Forschung entstanden ist. Außerdem wurden neue Ansätze wie authentische Führung und der allgemeine Trend hin zu „leadership as practice“ überhaupt nicht angesprochen.
Während des Kurses drehten sich die meisten Diskussionen um die von den Kursleitern vorbereiteten Übungen und folgten der allgemeinen Argumentationslinie der Fortbildung. Dieses Fehlen von kritischem Denken ist nur ein Beispiel dafür, dass die Mehrheit dazu neigt einfache, leicht verständliche und auf den ersten Blick verlockend erscheinende Lösungen, Konzepte und Entscheidungen zu akzeptieren. Dies ist nur ein Beispiel des besorgniserregenden Trends des „copy and paste“ (Dunn et al., 2008) – Dinge werden einfach nur kopiert, ohne dass wir ihre mögliche Auswirkungen auf uns, unser Unternehmen und die Gesellschaft kritisch hinterfragen.
Dies ist insbesondere von Bedeutung, da kritisches Denken eine Schlüsselkompetenz ist, die das Potential hat die individuelle Leistungsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit von Unternehmen zu verbessern. Kritisches Denken ermöglicht es Menschen Dinge zu hinterfragen und steht so in direktem Zusammenhang mit dem psychologischen Bedürfnis nach Autonomie und Kompetenz, was wiederum positive Auswirkungen auf unsere Motivation hat (Deci and Ryan, 2000). Auf der unternehmerischen Ebene unterstützen Forschungsergebnisse die Aussage, dass Unternehmen hoher Zuverlässigkeit (High Reliability Organizations, HRO) dazu neigen einfache Lösungen nicht einfach zu akzeptieren, um ihre Probleme zu lösen. Stattdessen haken diese Unternehmen nach, um der Ursache des Problems auf den Grund zu gehen und eine passende Lösung zu finden. In Bezug auf Leadership ist kritisches Denken die fundamentale Grundlage um komplexe Probleme, die einige der anspruchsvollsten Herausforderungen für Unternehmen und die Gesellschaft darstellen, zu verstehen, zu analysieren und zu lösen (Grunt, 2016). Letztendlich ist kritisches Denken die fundamentale Grundlage die Individuen und Organisationen dazu antreibt ihre Komfortzone zu verlassen und Neues zu lernen, sich weiterzuentwickeln, und insgesamt zu wachsen.
Allerdings gibt es kein leicht umsetzbares Rezept wie man seine eigenen Fähigkeiten, die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter oder die Fähigkeiten des ganzen Unternehmens, kritisch zu denken verbessern kann. Unserem evidenzbasierten Ansatz folgend haben wir einige Grundprinzipien zusammengestellt, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren und als Orientierung dienen können, wie man die Fähigkeit kritisch zu Denken verbessern kann. Wir beginnen auf der unternehmerischen Ebene, konzentrieren uns anschließend auf Teams und beschäftigen uns schließlich mit der individuellen Ebene.
1. Kritisches Denken in die Unternehmensstrategie aufnehmen
Eine der mächtigsten Hilfsmittel um kritisches Denken in ein Unternehmen einzugliedern ist dessen Aufnahme in die Unternehmensstrategie. Das klingt einfacher als es ist, da die meisten Unternehmen in ihrer Strategie immer noch „harte Fakten“ bevorzugen. Allerdings reicht die bloße schriftliche Dokumentation nicht aus. Das Unternehmen wird sich nur ändern, wenn die Strategie in regelmäßigen Abständen im Unternehmen kommuniziert wird. Eindeutige Indizien sprechen dafür, dass die Sprache einen großen Einfluss darauf haben kann nachhaltige Veränderungen auszulösen (Butcher und Atkinson, 2001). Man muss sie lediglich regelmäßig anwenden, wiederholen und aus die Kernaussagen aus einem anderen Blickwinkel platzieren. Führung spielt in diesem Zusammenhang eine herausrangende Rolle.
2. Sich individueller Dynamik und Gruppendynamik bewusst sein, die kritisches Denken beeinträchtigen könnten
Teamarbeit kann die Leistung eines Unternehmens entscheidend verbessern (West et al., 2006). Allerding sollte man sich bewusst sein, dass Teamwork auch Formen der Gruppendynamik hervorrufen kann, die kritisches Denken hindern und die Entscheidungsqualität vermindern können. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten beispielweise darauf hin, dass Gruppendiskussionen häufig bereits zuvor existente dominierende Mehrheitsmeinungen zusätzlich verstärken. Dieser Effekt ist auch als Gruppenpolarisierung bekannt (Myers und Lamm, 1976) und kann zu Gruppendenken führen, wenn das Team danach strebt eine positive Gruppenidentität zu erhalten, unter Druck handelt und schwache Entscheidungsfindungsprozesse aufweist (Esser, 1998). "Group Think" oder Gruppendenken ist durch eine starke und einheitliche Unterstützung bestehender Meinungen und der Abwesenheit von kritischem Denken charakterisiert. Beispiele für diesen Extremfall der Gruppenpolarisierung finden sich sowohl in Politik, Wirtschaft und darüber hinaus. Sich dieser Gruppendynamik bewusst zu sein ist eine der fundamentalen Voraussetzungen um Fallstricke aufgrund fehlenden kritischen Denkens zu vermeiden.
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3. Komplexe Probleme mit einem strukturierten Problemlösungsansatz angehen
Obwohl es sich möglicherweise unbequem anfühlt, müssen wir akzeptieren, dass die Welt um uns herum nicht so einfach ist wie wir es manchmal gerne annehmen. Daher befassen sich Problemlösungsansätze, die zu einfachen Lösungen mit eindeutigen Antworten wie richtig oder falsch, Abteilung A oder B, Lieferant Y oder Z führen, häufig nur mit der Spitze des Eisbergs. Aus Forschungsergebnissen wissen wir, dass Organisationen die in risikoreichen Bereichen arbeiten, wie zum Beispiel die Feuerwehr, Flugzeugträger und Kernkraftwerke, grobe Vereinfachungen vermeiden (LaPorte und Consolini, 1991). Stattdessen wenden sie die Zeit, die Energie und die Ressourcen auf, um Problemen auf den Grund zu gehen und ihre Ursachen direkt zu bekämpfen. Daher sollte man nicht die erstbeste Lösung akzeptieren sondern einem strukturierten Problemlösungsansatz folgen.
4. "Challenging Sessions" abhalten, durch welche die Mitarbeiter dazu angeregt werden Konzepte, Anträge, und Produkte kritisch zu diskutieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten
Kritisches Denken fängt mit dem Respektieren und Wertschätzen anderer Betrachtungsweisen, Meinungen und Lösungsansätzen an. Dies mag vielleicht offensichtlich klingen, ist es aber nicht. Um eine Organisation in die richtige Richtung zu lenken bedarf es Ritualen und Wiederholung. Sogenannte „Challenging Sessions“ sind Rituale, die sich leicht in den täglichen Arbeitsalltag eingliedern lassen. Wann immer es ein neues Produkt, eine neue Dienstleistung, ein neues Dokument, eine neue Präsentation oder andere wichtige Ergebnisse kurz vor der Markteinführung, dem Vertrieb oder der Veröffentlichung stehen, sollten sich fachlich qualifizierte Schlüsselpersonen zu einem Meeting oder einem Workshop treffen. Vorbestimmte Schlüsselfragen wie „Welche zentrale Kernaussage wollen wir vermitteln?“, „Erreichen wir unsere Zielgruppe?“ sollte im Team von verschiedenen Standpunkten aus kritisch diskutiert werden. Ein Moderator stellt hierbei sicher, dass die Diskussionen konstruktiv und fair ablaufen.
5. Regelmäßig nach Feedback fragen und Feedback abgeben
Es klingt einfacher als es ist. Feedback geben und Feedback erhalten bedarf einer sicheren und vertrauensvollen Umgebung sowie sozialen Kompetenzen und Sensibilität auf Seiten des Empfängers als auch des Feedbackgebers. Wenn diese Grundvoraussetzungen erfüllt sind kann die Organisation sich als Ganzes kontinuierlich weiterentwickeln und dazulernen. Der wichtigste Treiber hinter dieser Aufwärtsspirale ist kritisches Denken. Nur wenn Leute die Probleme erkennen, diese auf konstruktive Weise ansprechen und lernen wie sie etwas verbessern können, kann Weiterentwicklung und Lernen stattfinden.
6. Mikromanagement vermeiden und stattdessen Mitarbeiter dazu motivieren ihre eigenen Lösungswege zu finden
Kritisches Denken ist eng mit Bevollmächtigung, Kompetenz und Autonomie verknüpft. Als Führungspersönlichkeit ist es deine Aufgabe deine Angestellten und Mitarbeiter zu motivieren und zu unterstützen, damit sie ihre eigenen Ideen, Fragen und Lösungsmöglichkeiten finden können. Das bedeutet jedoch nicht, dass deine Arbeit mit dem Vermeiden von Mikromanagement beendet ist. Es geht vor allem darum, das richtige Umfeld aufzubauen und zu erhalten, damit deine Leute ihre Ziele optimal verfolgen können. Dies beinhaltet eine vertrauensvolle und sichere Umgebung, auch bekannt als „speak-up culture“ und den richtigen Leadership-Ansatz.
7. In den meisten Fällen gibt es kein richtig oder falsch
Hast du jemals einen Rechtsanwalt gefragt, ob eine bestimmte Entscheidung richtig oder falsch ist? Höchst wahrscheinlich hast du eine Antwort bekommen wie: „Es kommt darauf an.“ Während Rechtsanwälte und einige Berater das „Prinzip der Relativität“ mittlerweile schon seit vielen Jahren anwenden wird dies erst seit kurzem im Management zunehmend eingesetzt. Die Kernaussage dieses Prinzips ist, dass insbesondere in unserer sozialen Welt richtig oder falsch normalerweise vom Blickwinkel abhängt. Diese „relative Wahrheit“ ist stark von Erfahrungen, persönlichen und organisatorischen Kulturen sowie dem Kontext oder der Situation abhängig, die beeinflussen wie wir bestimmte Dinge wahrnehmen. Sich diesem Prinzip der Relativität bewusst zu sein ist ein weiterer Schritt in Richtung der Erschaffung und Erhaltung einer Kultur des kritischen Denkens in deiner Organisation (Kilgore, 2004).
8. Stelle deine eigenen Nachforschungen an: “Go to Gemba”
Zu guter Letzt fängt kritisches Denken mit der Art an wie wir denken, handeln und uns verhalten. Wenn wir daher jede Aussage als „wahr“ annehmen, uns dabei beispielsweise auf Kennzahlen bzw. Key Performance Indicators (KPI) verlassen und bei Problemen nicht weiter nachforschen, sondern nur die Symptome behandeln, werden alle Anstrengungen eine Kultur des kritischen Denkens zu etablieren keine Früchte tragen. Eine besonders mächtige Strategie, die sich leicht umsetzen lässt, stammt aus dem Lean Management Konzept. „Go to Gemba“ betont, dass es notwendig ist, die Werkstatt direkt zu besuchen, um die Dinge mit den eigenen Augen betrachten zu können, anstelle nur von abstrakten KPI oder von Problemen zu reden, die schlecht definiert und daher nur schwer greifbar sind. Auf andere Bereiche übertragen bedeutet dies vereinfacht gesagt „stelle deine eigenen Nachforschungen an und vergiss nicht kritisch zu denken“.
Schlussfolgerung
Lernen und Weiterentwicklung war schon immer eng verknüpft mit dem Verlassen der Komfortzone, dem Aufgeben von zuvor als selbstverständlich betrachteten Vorstellungen und einer gesunden Portion Skepsis. Dies ist insbesondere in der wissensbasierten Wirtschaft des 21. Jahrhunderts von großer Bedeutung, da Experten, Berater, Politiker und Unternehmen versuchen ihre Botschaft mit einer einfachen und leicht verständlichen Sprache zu vermitteln. Außerdem ist die Fähigkeit qualitativ hochwertiges Wissen zu erzeugen ein wettbewerblicher Vorteil für jede Organisation. Daher wird kritisches Denken, das stark zur Entwicklung der Menschheit beigetragen hat, auch in der Zukunft zunehmend wichtiger.
Referenzen
Butcher, D. and Atkinson, S. (2001) ‘Stealth, secrecy and subversion: The language of change’, Journal of Organizational Change Management, vol. 14, no. 6, pp. 554–569.
Deci, E. L. and Ryan, R. M. (2000) ‘The "What" and "Why" of Goal Pursuits: Human Needs and the Self-Determination of Behavior’, Psychological Inquiry, vol. 11, no. 4, pp. 227–268.
Dunn, D., Halonen, J. S. and Smith, R. A. (2008) Teaching critical thinking in psychology: A handbook of best practices, Chichester West Sussex, Malden MA, Wiley-Blackwell.
Esser, J. K. (1998) ‘Alive and Well after 25 Years: A Review of Groupthink Research’, Organizational Behavior and Human Decision Processes, vol. 73, 2-3, pp. 116–141.
Grint, K. (2016) ‘Problems, problems, problems: The social construction of ‘leadership’’, Human Relations, vol. 58, no. 11, pp. 1467–1494.
Kilgore, D. (2004) ‘Toward a postmodern pedagogy’, New Directions for Adult and Continuing Education, vol. 2004, no. 102, pp. 45–53.
LaPorte, T. and Consolini, P. (1991) ‘Working in Practice But Not in Theory: Theoretical Challenges of “High-Reliability Organizations”’, Journal of Public Administration Research and Theory.
Myers, D. G. and Lamm, H. (1976) ‘The group polarization phenomenon’, Psychological Bulletin, vol. 83, no. 4, pp. 602–627.
West, M. A., Guthrie, J. P., Dawson, J. F., Borrill, C. S. and Carter, M. (2006) ‘Reducing patient mortality in hospitals: The role of human resource management’, Journal of Organizational Behavior, vol. 27, no. 7, pp. 983–1002.
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